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Wir brauchen Arbeitsplätze und Umweltschutz

Artikel von Peter Dreller (ehemaliges Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsmitglied bei MITROPA und ehemaliger Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender der DB European Railservice) in Bündnis „Bahn für Alle“ (Ausgabe Frühjahr 2016)

Am 29. November 2015 erklärte DB-Vorstand Ronald Pofalla die Ära der Nachtzüge mit Schlaf- und Liegewagen für beendet. Er tat dies ausgerechnet im Sonderzug zum UN-Klimagipfel in Paris, und absurderweise als Reaktion auf Kritik an bereits vorgenommenen Einschränkungen des Nachtzugangebots. Pofalla erklärte dem erstaunten Journalisten, man wolle künftig die Nachfrage nach Nachtzügen mit ICEs bedienen – natürlich nur mit Sitz- und ohne Schlaf- und Liegewagen. Knapp drei Wochen später, am 17. Dezember 2015, beschloss der Vorstand von DB Fernverkehr die Einstellung der Verkehre zu Ende 2016, während der Konzernvorstand sich am Vortag nicht getraut hatte, diesen Plan dem Aufsichtsrat des Konzerns zur Genehmigung vorzulegen.

Die Konzernspitze fütterte 2013 und 2014 Medien und Politiker fleißig mit der Behauptung, die Reisendenzahlen in den Nachtzügen seien deutlich zurückgegangen. So hieß es im »Münchner Merkur« vom 11. August 2014: »2009 verzeichnete die Bahn noch 1,9 Millionen Fahrgäste in dem Segment, 2013 waren es nur noch 1,4 Millionen.« Umso größer war das Erstaunen im Bundestag, als bei der Anhörung zum Nachtzug-Antrag der Linkspartei am 14. Januar 2015 Bahnvorstand Ulrich Homburg auf die erste Frage zur Nachfragesituation der Nachtzüge erklären musste: »Stabile Nachfragesituation. Die Züge sind gut gebucht.« Die Abgeordneten, Medienleute und Gäste bekamen noch mehr zu hören: So waren die Reisendenzahlen gar nicht gesunken, sondern gestiegen. Sie lagen 2013 fast doppelt so hoch wie von der DB angegeben, denn die Konzernspitze hatte sage und schreibe 1,2 Millionen Sitzwagenreisende in den Nachtzügen nicht als Nachtzugreisende, sondern bei den Intercitys verbucht, was die Wirtschaftlichkeit der Nachtzüge auf dem Papier drastisch verschlechterte. »Auf der Schiene sind die Nachtzüge profitabel – das Defizit entsteht im Bahntower« hatten die Beschäftigten schon 2014 erklärt.

Die DB hat(te) aber noch mehr Tricks auf Lager, um die Nachtzüge schlecht aussehen zu lassen: fehlende Präsenz auf der Auskunfts-Website der DB, Hindernisse bei der Onlinebuchung, verschleppte Reparaturen, fahrlässige bis mutwillige Verspätungen beim Rangieren… Kurzum: Die DB hat das Potenzial der Nachtzüge bei weitem nicht ausgeschöpft. Manche sagen: Die Manager haben das Produkt nicht verstanden. Ein Journalist resümierte: »Die wollen nicht.« Dem kann man kaum widersprechen, denn weder in der 2015 vorgestellten Fernverkehrsstrategie noch in der dazu gehörenden Werbekampagne mit dem Slogan »Diese Zeit gehört Dir« kommen Nachtzüge überhaupt vor. Die zahlungskräftige und verspätungssensible Kundengruppe – Geschäftsreisende, Reisende aus Wissenschaft und Politik – wurde bei der Zielgruppenanalyse ausgeblendet. Wer für ein schöneres Reiseerlebnis, aus ökologischen oder medizinischen Gründen nicht das Flugzeug, sondern die Bahn nutzt, wurde als »Flugphobiker und Eisenbahnnostalgiker« diffamiert.

Dass die DB nur noch mit ICEs und ICs durch die Nacht fahren will, begründete Pofallas Vorstandskollege Berthold Huber am 17. Dezember 2015 mit einem einzigen Argument: »Die können wir aus dem laufenden Produktionskonzept fahren, also ausgesprochen günstig produzieren.« Gemeint ist: Jeweils zwei Zuggarnituren, die bisher nachts an entgegengesetzten Ecken der Republik herumstehen, tauschen nachts die Positionen und nehmen dabei Fahrgäste mit, z.B. zwischen Hamburg und Basel, Köln und Berlin oder München und Düsseldorf – sitzend, grell beleuchtet, von Lautsprecherdurchsagen beschallt: schlaflos durch die Nacht. Die klassischen Nachtzüge will die DB an die ÖBB abgeben, weil – so Huber – »der Nachtzugverkehr in deren Produktionsstrukturen und deren Fahrzeugstrukturen besser passt als bei uns.« Die ÖBB kann also mit lokbespannten Zügen, die nachts auch mal rangiert werden, besser umgehen als die DB. Ein bemerkenswertes Eingeständnis des eigenen Versagens.

Während die DB das Aus für ihre Nachtzüge bekanntgab, führte sie gleichzeitig sinnvolle und erfolgreiche Veränderungen ein: In allen Sitzwagen wurde die Reservierungspflicht in der Nacht aufgehoben. Alle Sitzwagen sind auf der Gesamtstrecke in Deutschland nutzbar und werden als IC angezeigt. Pendler und Sparpreis-Kunden können sie endlich so einfach nutzen wie ICs am Tage. Warum gibt die DB diesem Konzept keine Chance? Fürchtet man etwa, bei weiter steigenden Fahrgastzahlen die Abbaupläne nicht mehr rechtfertigen zu können?

Die DB hat sogar ein 1:1-Modell eines neuen Liegewagenkonzepts bauen lassen, das den wenigen Menschen, die zur Besichtigung zugelassen waren, sehr gut gefiel. Als das Aus bekannt wurde, verkaufte sie es an die ÖBB, die es öffentlich am Wiener Hauptbahnhof ausstellte und ihre Kundschaft um Bewertungen und Ideen bat.

Nachtzüge sind ein unverzichtbarer Bestandteil eines flächendeckenden Fernverkehrsangebotes rund um die Uhr. Nur wenn die Bahn nicht die Bahnsteige zwischen 24 und 6 Uhr hochklappt, wird sie gegen die klimaschädliche Konkurrenz der Flugzeuge und gegen die Fernbusse bestehen können. Nachtzug heißt: Es gibt (auch) Betten und Liegen an Bord und eine angemessene Gastronomie. Das von der DB seit Dezember 2015 gefahrene Konzept eines »CNL und IC im selben Zug« ist nur noch einen Schritt von dem Modell entfernt, das Umweltverbände, Verkehrsfachleute und Mitarbeiter seit längerer Zeit vorgeschlagen haben: Nächtliche ICs haben je nach Bedarf einen oder mehrere Schlaf- und Liegewagen. Auch diese Züge können als Wendezüge und mit Tempo 200 gefahren werden. Damit ließen sich sogar die bestens gebuchten Kurswagen in den Urlaub wieder einführen, bei denen z.B. der Hauptteil des IC aus Hamburg in die Schweiz weiterfährt, aber einige Wagen in Offenburg an einen Regionalzug an den Bodensee gehängt werden. Für eine traumhafte Reise mit Kind, Kegel, Hund und Fahrrad.

Das ist die ganzheitliche Idee vom Nachtzug. Doch der DB-Vorstand schert sich nicht um nachhaltige Mobilität und will unverbesserliche Bahnreisende zum Umstieg auf Flugzeug und Busse zwingen.

Muss man noch extra erwähnen, dass der DB-Vorstand auch seine treuesten Stammkunden verprellt, indem er die Autoreisezüge ebenfalls streicht? Alle reden von Umweltschutz – die DB nicht.

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